Was ins Archiv kommt, das bleibt.
Ein Portrait des Niederösterreichischen Volksliedarchivs
Das NÖ Volksliedarchiv der Volkskultur Niederösterreich zählt zu den umfangreichsten Musiksammlungen in Niederösterreich und ist in der NÖ Landesbibliothek in St. Pölten untergebracht.
Zur Forschung, Recherche und Benützung stehen rund 60.000 Lied- und Musikhandschriften, eine Fachbibliothek mit rund 9.000 Büchern, Schriftenreihen, Zeitschriften, ein Tonarchiv, ein Bildarchiv und digitale Medien zu Volkslied, Volksmusik, Volkstanz, Bräuchen, Volkskunde und Tracht zur Verfügung.
„Was man ins Internet hochlädt, kann bald schon nicht mehr abrufbar sein – was ins Archiv kommt, das bleibt.“ bringt Dr. Peter Gretzel die Kernaufgabe des von ihm geleiteten Archivs auf den Punkt.
Das NÖ Volksliedarchiv versteht sich als volksmusikalisches Gedächtnis im Land Niederösterreich. Es dokumentiert und beforscht Volksmusik und verwandte Themen aus dem Bereich Volkskultur in Niederösterreich. Gleichzeitig fungiert es als Servicestelle für aktive Volksmusikantinnen und Volksmusikanten sowie Sängerinnen und Sänger.
Das Volksliedarchiv geht auf den 1904 ins Leben gerufenen Arbeitsausschuss für Wien und Niederösterreich zurück, der neben weiteren Ausschüssen für die damaligen Kronländer der Donaumonarchie für das Editionsunternehmen „Das Volkslied in Österreich“ eingesetzt wurde. Der bekannte Volksliedsammler und Tanzforscher Raimund Zoder (1882–1963) war an der Gründung und am Aufbau des Archivs maßgeblich beteiligt.
Im Laufe der Zeit wurde eine bedeutende Sammlung von Liedern, Instrumentalstücken, Tänzen, Märchen, Sagen und Volksschauspielen angelegt. Raimund Zoder leitete das Archiv bis 1938 und erneut von 1945 bis 1959. Durch Kriegswirren 1945 verlorengegangene Bestände konnte er teilweise rekonstruieren.
Nach Zoder waren Franz Schunko, Herbert Rathner, Dorli Draxler, Nicola Benz, Wolfgang Stanicek, Erna Ströbitzer und Nicole Malina-Urbanz mit der Archivleitung betraut. Seit 2012 ist Peter Gretzel Leiter des NÖ Volksliedarchivs und wird von Peter Angerer unterstützt.
Das NÖ Volksliedarchiv blickt auf eine lange und ungebrochene Tradition zurück, ist aber technisch am Puls der Zeit. Ein Großteil der Archivalien ist bereits digital verzeichnet und recherchierbar über die Volksmusikdatenbank der Volksliedarchive in Österreich und Südtirol, betrieben von DABIS GmbH. Bislang noch nicht elektronisch verzeichnete Archivalien und Medien sind vor Ort über historische Repertorien einsehbar.
Das Archiv verfügt über eine Digitalisierungsstation, mit der Handschriften hochauflösend digitalisiert werden können. Die digitale Aufnahme wird unmittelbar über die Kamerasoftware in den Computer eingelesen, dort für die Archivierung bearbeitet und auf Servern abgelegt.
Auch für eine Reihe von Audioformaten (Tonband, Musikkassette, Schallplatte, digitale Audiobänder) verfügt das Volksliedarchiv über die für die Digitalisierung notwendigen Gerätschaften.
Gesichert werden die digitalen Daten unkomprimiert und verlustfrei. Die Digitalisate und deren Arbeitskopien werden auf dem Archivserver abgelegt, der von außen nicht zugänglich ist. Ein Datenverlust kann durch Datenspiegelungen und zusätzlichen monatlichen Sicherungskopien ausgeschlossen werden.
Trotz dieser notwendigen Abschottung der Archivdaten gibt es die Möglichkeit der digitalen Einsichtnahme in viele Bestände über die Volksmusikdatenbank des Verbundes der Volksliedwerke Österreichs. Dort werden WEB-fähige Kopien vor allem des handschriftlichen Materials mit den Datensätzen verknüpft und so nach und nach ein virtuelles Archiv aufgebaut.
Ein neu implementiertes Tool zur Melodienrecherche gibt neue Einblicke in die Welt der Volksmusik. Hierfür sind digitale Transkripte der Lieder und Stücke notwendig, die zunehmend automatisiert hergestellt werden. Die Notenhandschriften-Erkennung ist jedoch noch fehlerbehaftet und braucht je nach Lesbarkeit der Vorlage eine mehr oder weniger intensive Nachbearbeitung.
Seit 2013 liegt der Schwerpunkt neben der Digitalisierung und Verzeichnung der Handschriften- und Tonträgerbestände auf der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Auswertung der Bestände zu Themen der Volksmusikforschung in Niederösterreich und den angrenzenden Ländern im 20. Jahrhundert.
Um die Volksmusikgeschichte auch weiterhin und kontinuierlich schreiben zu können, muss das Archiv in regem Austausch mit Musikschaffenden, Sammlerinnen und Sammlern der Gegenwart stehen. Die Musikerinnen und Musiker sind es auch, die immer wieder auf der Suche nach Noten ihren Weg ins NÖ Volksliedarchiv finden. Unmittelbar vor dem Interview hatte Peter Gretzel Besuch von Musiker und Pädagoge Volker Gallasch gehabt, der im Archiv für sein Seminar „Erlebnis Musik“ im Herbst im Haus der Regionen nach einzigartigen Stücken gesucht hat.
„Am Ende des Tages ist es unser aller Archiv,“ sagt Peter Gretzel und erwähnt, dass Überlassungen von Sammlerinnen und Sammlern einen relevanten Teil des volksmusikalischen Kulturerbes ausmachen, das im Archiv aufbewahrt und erschlossen wird. „Jede Musikantin und jeder Musikant, der oder die das Archiv nützt oder Sammlungen deponiert, trägt zum Wachstum bei.“
Als Servicestelle steht das NÖ Volksliedarchiv Interessentinnen und Interessenten zur Verfügung und kann direkt über die Website der Volkskultur Niederösterreich kontaktiert werden. Auch nicht für die Veröffentlichung bestimmtes Material kann im Rahmen der gesetzlich geregelten Archivsperre im Archiv abgegeben und dauerhaft aufbewahrt werden.
Ein besonderes Highlight im NÖ Volksliedarchiv stellen die Archivproben dar. Sie gehen auf Rudi Pietsch, Gerlinde Haid und Ernst Spirk zurück, die sich seinerzeit Noten für interessante Stücke aus dem Archiv suchten und mit ihren Schülern und Studenten einstudierten. Seit heuer werden die Archivproben wieder abgehalten und finden kommenden Herbst unter der Leitung von Ulrike Weidinger ihre Fortsetzung.
Bei den neu ins Leben gerufenen Archivproben wird Interessierten die Möglichkeit geboten, unter fachkundiger Anleitung ausgewählter Referentinnen und Referenten und des NÖ Volksliedarchivs Lieder und Stückeln aus den handschriftlichen Beständen des Volksliedarchivs auszuprobieren. So können sich Interessierte den Melodienschatz erschließen, sich mit Gleichgesinnten austauschen und ihr Repertoire erweitern.