Handwerk

Fast vergessenes Handwerk: die Steinmetze des Wald- und Weinviertels

Steinmetze zählen zu den ältesten Berufsgruppen überhaupt, existieren aber in der heutigen Form großteils maschinell unterstützt. Dass der Steinmetz einmal ein Handwerk war, das von Menschen mit einfachsten Werkzeugen ausgeführt wurde, daran erinnern in Niederösterreich viele Traditionsgeschichten. Eine davon ist die Geschichte der Steinmetzfamilie Pracht, die ins 17. Jahrhundert zurückgeht und deren Werke das Erscheinungsbild des Wald- und Weinviertels bis heute prägen. Dass die Steinmetzfamilie sich im 17. Jahrhundert ausgerechnet bei Zogelsdorf ansiedelte, ist kein Zufall.

Originalskizze der von Johann Pracht sen. erstellten Mariahilfsäule in Großkadolz im Bezirk Hollabrunn

Der Zogelsdorfer Sandstein wird seit rund 3000 Jahren, ab der Bronzezeit bis ins 20. Jahrhundert, vom Menschen verwendet und ist einer der bedeutsamsten Naturwerksteine Österreichs. Baudenkmäler und Plastiken aus dem „Weißen Stein aus Zogelsdorf“ finden sich in zahlreichen bedeutenden Bauwerken wieder, zum Beispiel in  der Wiener Karlskirche, Schloss Schönbrunn und der Hofburg.

Der Zogelsdorfer Sandstein besteht aus Leithakalk, einer Mischung aus Sand, Algenkalk und Sediment aus Muscheltieren, das der Witterung länger standhält als andere Sandsteinarten. Die Tätigkeit der Familie Pracht gründet auf diesem sogenannten „Weißen Stein aus Zogesdorf“, der das ideale Material nicht nur für sakrale Plastiken, sondern auch für stattliche Fassaden, Fenster- Tür- und Torrahmungen darstellte.

Die von Johann Pracht sen. erstellte Mariahilfsäule in Großkadolz im Bezirk Hollabrunn

Die Werke des Steinmetzes Johann Pracht kann man vielerorts besichtigen, sein Urenkel, der Heimatforscher und bildende Künstler Herbert Puschnik arbeitet bis heute mit dem „Steinganter“ seines Urgroßvaters. Ein traditionelles, heute nur noch in Museen zu findendes Steinmetzwerkzeug, das einem Hammer mit pyramidenförmigen Erhebungen gleichkommt, die das Abtragen des Gesteins „mit Kraft und Gefühl“ möglich macht, wie Prof. Puschnik es beschreibt.

Der pensionierte akademische Maler und Gymnasiallehrer widmete sich neben seinen vielen Betätigungsfeldern auch der Familientradition der Bildhauerei und schuf zahlreiche Werke und Restaurationen in der Region.

Vor kurzem schuf er die Skulptur einer gewaltigen Hand, die man gegenüber des Horner Bahnhofs sehen kann. Eine seiner jüngsten Restaurationen, der „entdeckte Fenstergucker“ kann in der Piaristenpassage in Horn besichtigt werden und geht auf einen Zufallsfund zurück.

Als ein Gastronom in der Piaristenpassage die historische Mauer seines Gebäudes restaurierte, stieß er unter dem Mörtel auf Fragmente einer Engelsskulptur und bat den pensionierten Kunstprofessor um seine Einschätzung. Der machte sich kurzerhand mit Hammer und Meißel daran, den Engel zu „befreien“ und stieß dabei auf einen darunter liegenden Schriftzug, der darauf schließen lässt, dass es sich bei dem Mauerteil um eine Skulptur aus dem Nachlass des ehemals in der Nähe befindlichen Piaristengymnasiums handelt.

„Wer immer diese Mauer damals geschaffen hat, dürfte einfach ein großes Stück Stein gesucht haben, ist dann auf diese womöglich als Bruchstück vorhandene Skulptur gestoßen und hat die da einfach reingesetzt“, schmunzelt Prof. Puschnik, dem es in mühsamer Kleinarbeit gelungen ist, die historische Skulptur zu restaurieren.

Prof.Dr. Herbert Puschnik mit dem Fenstergucker von Horn

 

Für Herbert Puschnik ist die Bildhauerei Familiensache. Der erste Steinmetz in der Familie des kürzlich mit dem Kulturpreis der Stadt Horn für sein Lebenswerk geehrten, akademischen Malers und Gymnasiallehrers war Michael Pracht, der 1619 geboren wurde. Bis ins Jahr 1870 lebte die Steinmetzfamilie in Kühnring, dann übersiedelte sie nach Groß-Reipersdorf in Pulkau, zumal dort der Kalksteinbruch in der Heide einen neuen Steinmetz brauchte. In dieser Zeit entstanden zahlreiche sakrale Steinplastiken.

„Die Kunstdenkmäler, die unsere Dörfer prägen, sind unwiederbringliche Zeugen des Volksglaubens und unserer Kultur“,  so Herbert Puschnik. „Ihnen gebührt Beachtung und Schutz vor dem Zahn der Zeit.“

Giebel des einstigen Kaiser Franz Joseph-Jubiläumsbades von Retz

Der Detailreichtum der ohne technische Hilfsmittel erstellten Skulpturen ist aus heutiger Sicht beeindruckend und erforderte jahrelange Hingabe und Praxis. Zugleich war es praktisch unmöglich, von der „Arbeit am Stein“ alleine zu leben.

Diese Schwierigkeit führte auch bei den Prachts dazu, dass man parallel dazu anderen Tätigkeiten nachgehen musste.

Während Johann Pracht 1860 den legendären „Gnadenstuhl“ in Kühnring erschuf, führte er zeitgleich ein Gastgewerbe in seinem Haus, um seine Familie versorgen zu können.

Das Handwerk des Steinmetzes beschreibt Herbert Puschnik heute noch aus Erzählungen seiner Urgroßmutter. Teils arbeitete sein Urgroßvater Johann Pracht über mehrere Tage alleine im Steinbruch. Er pflanzte sich Beerensträucher, um vor Ort etwas zu Essen zu haben. Der Detailreichtum der von Hand geschaffenen Skulpturen ist beeindruckend und erforderte jahrelange Hingabe und Praxis. Zugleich war es praktisch unmöglich, von der „Arbeit am Stein“ alleine zu leben. Diese Schwierigkeit führte auch bei den Prachts dazu, dass man parallel dazu anderen Tätigkeiten nachgehen musste. Johann Pracht sen. führte ein Gastgewerbe in seinem Haus, um seine Familie versorgen zu können. Eines seiner letzten Werke ist der Giebel des einstigen Kaiser Franz Josephs-Jubiläumsbades um 1898 in Retz im Weinviertel.

Löwen im Renaissancegarten von Retz

 

Johann Prachts Sohn Johann Pracht jun. übernahm das Handwerk des Vaters und schuf unter anderem die Dreifaltigkeitssäule von Zwingendorf (1921) und die Löwen des Portals vom Renaissancegarten in Retz.

Stahlplastik bei Aspersdorf

Die Plastiken sind heute Zeugen einer Zeit, in der maschinelle Hilfsmittel undenkbar waren und Beschädigungen nicht geklebt werden konnten. Die Technik mag Vergangenheit sein, aber die Inspiration des Handwerks lebt bis heute weiter. Johann Pracht juniors Ur-Enkel Herbert Puschnik hat das historische Handwerkszeug der Steinmetzfamilie mittlerweile an seinen eigenen Sohn, den Bildhauer, Restaurator und Kunsterzieher Mag. Christoph Puschnik weitergegeben. Auch Christoph Puschnik prägt das Ortsbild im Weinviertel als Bildhauer, allerdings nicht mehr mit Skulpturen aus Stein, sondern mit Plastiken aus modernen Metalllegierungen. Von ihm stammt unter anderem die Stahlplastik von Aspersdorf, neben dem Windrad nördlich von Hollabrunn. Sie stellt den Flugsamenkörper des Löwenzahns dar, dessen Samenkorn, die Achäne, durch Windkraft an einen neuen Standort verfrachtet wird, um dort zu wachsen und neues Leben entstehen zu lassen.

So wird die Bildhauertätigkeit der Familie Pracht bis heute in einer Linie weitergeführt, auch wenn es mittlerweile nicht mehr die „Arbeit am Stein“ ist, sondern modernere Materialien zum Einsatz kommen.

Wer jetzt Interesse an der traditionellen Arbeit der Steinmetze bekommen hat, kann bei einem Besuch im Steinmetzhaus in Zogelsdorf  alles über die historischen Materialien und Werkzeuge dieses fast vergessenen Handwerks erfahren.

 

Fotos: Herbert Puschnik, Maja Brandstetter