Beschreibung
Im April 2007 fand in Spitz und Rossatz-Arnsdorf das NÖ Volkskulturfestival „aufhOHRchen“ statt. Dieses besondere Ereignis bot den Anlass zur Entstehung der „Spitzer Gabler-Messe“. Die erstmalige Aufführung erfolgte beim Festgottesdienst am 29. April 2007 in der Pfarrkirche St. Mauritius zu Spitz durch den Wachau-Chor Spitz unter Leitung von Michael Koch. An der Orgel spielte der nunmehrige Widmungsträger, Franz Haselböck. Unsere Erfahrungen von oftmaligen Aufführungen im Laufe der letzten
17 Jahre flossen in die nun teilweise überarbeitete und hier erstmals veröffentlichte Fassung ein. Die den elf Teilen unserer Messlied-Reihe zugrunde liegenden Gesänge wählten wir allesamt aus Joseph Gablers 1890 publizierter Sammlung „Geistliche Volkslieder. Siebenhundertvierzehn religiöse Lieder mit 387 Melodien, gesammelt in der Diözese St. Pölten“ aus. Gabler hatte die Singweisen und Liedtexte im Laufe von rund 40 Jahren „aufgesucht und gesammelt, wie man arme Waisen in ein Asyl sammelt.“ (aus J. Gabler: Vorrede zu „Geistliche Volkslieder“, 1890). Er bezeichnete sie als „einfache gemüthvolle Erzeugnisse des heiligen Glaubens, der sie aus dem Herzen des Volkes hervorrief oder dessen treubewahrendem Sinne übergab.“ Vorrangig bei der Auswahl der Lieder war das Bestreben, aus dem immensen Reichtum an Liedstrophen zur Liturgie passende Texte zu finden. Eine weitere Intention bestand darin, die große Vielfalt an Liedgruppen und Melodieformen der Sammlung Gabler sichtbar – oder vielmehr hörbar – zu machen. So
umfasst die getroffene Auslese Lieder zur hl. Dreifaltigkeit (Nr. 2, 5), Marienlieder (Nr. 11), Sakramentslieder (Nr. 10) und Lieder vom Leiden Christi (Nr. 4). Ausdruck
christlicher Lebensgestaltung sind wiederum die Liedgruppen der Morgenlieder (Nr. 1), der Bittlieder (Nr. 9) und der Lob- und Anbetungslieder (Nr. 3, 7, 8).
Die oft sehr bildreiche Sprache der geistlichen Volkslieder vermittelt uns die Volksfrömmigkeit früherer Tage auf berührende Weise. In diesem Sinne haben
wir in der vorliegenden Notenausgabe bewusst die originalgetreue Schreibweise von Joseph Gabler aus dem Jahr 1890 beibehalten.
Auf die eine oder andere Besonderheit im Detail sei an dieser Stelle hingewiesen: So zitiert etwa der Beginn von „Kommet von den eitlen Wegen“ (Nr. 4) unverkennbar die alte österreichische Kaiserhymne und gibt damit Zeugnis von der einstigen „Liebe und Treue, in der das katholische Volk Österreichs … für Kaiser und Vaterland den Segen Gottes“ erbat. Eine besonders ausdrucksstarke Melodie weist „Gott ist heilig“ (Nr. 7) auf, eines der ganz seltenen geistlichen Volkslieder in Moll. Das seit der Barockzeit überlieferte „Herr, ich glaube“ (Nr. 5) hat seine Popularität über rund 300 Jahre bewahrt und findet sich in nahezu unveränderter Form auch heute noch im Katholischen Gebet und
Gesangbuch „Gotteslob“ wieder (GL 848). Ein ausgesprochen poetisches, ergreifendes Bild vermag das Schlusslied “Wenn mein Schifflein sich will wenden” (Nr. 11) zu zeichnen, wenn darin die Gottesmutter Maria inniglich angerufen wird: „Wenn mein Schifflein sich will wenden in den Port der Ewigkeit … Laß nicht ew’gen Schiffbruch leiden, ach, die arme Seele mein! Führe mich nach diesem Leben in den Port des Himmels ein.“
Entsprechend der einstigen Singpraxis – zum Vorsänger passte meist ein weiterer Sänger eine zweite Stimme dazu – notierte Gabler sämtliche Lieder einoder
zweistimmig. Das Volk war dann zum Nachsingen der einzelnen Verse bzw. zum Einstimmen beim Refrain aufgerufen.
Die homophone Mehrstimmigkeit mit dominierender Melodie gehört untrennbar zum Wesen des geistlichen Volksliedes. Die vorliegenden Bearbeitungen der Lieder
im einfachen Volkssatz mögen dem von unseren Vorfahren auf intuitive Weise praktizierten „Dazusingen” nahe kommen und damit den „einfachen, volksthümlichen
Charakter der Lieder“ weitestmöglich bewahren. In diesem Sinne beließen wir so manche Passage ganz bewusst in der – dann oft umso kraftvoller empfundenen
– originalen Zweistimmigkeit. Die Vor-, Zwischen- und Nachspiele wurden unter Verwendung des motivischen Materials der Singweisen hinzukomponiert, teilweise inspiriert durch die Improvisationen des Organisten Franz Haselböck bei der Erstaufführung im Jahr 2007.
Joseph Gabler wollte mit seinem Lebenswerk, der 1890 in Druck gegebenen Sammlung “Geistliche Volkslieder”, bewirken, dass „die zerstreuten und der Vergessenheit
allmählig anheimfallenden religiösen Volkslieder fernerhin dem Volke bewahrt bleiben.“ Möge die “Spitzer Gabler-Messe” einen Beitrag leisten, dass diese volkskulturellen Schätze unserer Region auch in Zukunft den Menschen „Freude, Trost und Erbauung“ bringen!