Volksmusik on air
Die Radio-Verkehrs-Aktien-Gesellschaft und die Volksmusik der 1920er und 1930er Jahre
Die Radio-Verkehrs-Aktien-Gesellschaft wurde am 14. Juni 1924 in Wien gegründet und nahm am 1. Oktober ihren Sendebetrieb auf. Empfangbar war das Programm zunächst über einen im Handel erhältlichen und selbst zusammenzubauenden „Detektor“. Die RAVAG verstand sich als Vermittlerin für Musik und Gesang aus allen Richtungen. Von Anfang an zählte die Präsentation von volkskundlichen Themen und von Volksmusik zu ihren Kernaufgaben. Der bekannte Volksliedsammler Georg Kotek (1889-1977) wurde beauftragt, mit dem von ihm geleiteten Deutschen Volksgesangverein in Wien Volksmusiksendungen zu gestalten. Schon wenige Wochen nach der Aufnahme des Sendebetriebes moderierte Kotek einen ersten „Volkslieder-Abend“ mit Landlern, Jodlern und „wirklichen Volksliedern“. Zunächst traten nur städtische Sing- und Spielgruppen im Radio auf.
Gesungen und musiziert wurde, was die Volksliedsammler zusammengetragen und für die Darbietung im Radio aufbereitet hatten. Ab 1925 wurden die Volksmusiksendungen regelmäßig einmal wöchentlich ausgestrahlt. Seit 1926 übernahmen neben Georg Kotek Raimund Zoder (1882-1963) und Karl Liebleitner (1858-1942) die Sendungsgestaltung. 1929 gesellten sich der Volkskundler, Lied- und Tanzforscher Hans Commenda (1889-1971) und Karl Magnus Klier (1892-1966) zu den Sendungsmachern.
Auf Betreiben von Raimund Zoder betrat die RAVAG 1929 mit der Übertragung des „Pfeifertages“ auf der Blaa-Alm im Salzkammergut neues Terrain. Unter dem Motto „Das wandernde Mikrofon“ wurden nun Reportagen draußen bei den Trägern der Volksmusik beliebt. Der volkskundlich gebildete und geschulte Radioreporter Andreas Reischek (1892-1965) zeichnete in der Folge für das Genre Volkskunde und Volksmusik innerhalb der RAVAG verantwortlich.
In Anlehnung an die ersten Oberbayerischen Preissingen, die der Volksliedsammler und -forscher Kiem Pauli (1882-1960) in Bayern in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk ab dem Jahr 1930 veranstaltete, trat auch das Österreichische Volksliedunternehmen mit der Idee eines Preissingens an die RAVAG heran. Bereits 1931 lieferte Hans Commenda aus Linz einen Entwurf für österreichische Preissingen an die RAVAG. Das erste Volksliedersingen fand dann drei Jahre später 1934 in Bad Ischl statt. Nach dem Vorbild Bayerns wurden in den Bundesländern die Überlieferungsträger eingeladen, ihre Lieder zu präsentieren. Eine Jury wählte die entsprechenden Lieder und Jodler aus. Ein Teil der Darbietungen wurde auf Wachsplatten aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt im Radio übertragen, während die herausragendsten Beispiele für ein noch zu errichtendes Schallplattenarchiv der RAVAG auf Schellack gepresst wurden. Bis zum Jahr 1938 wurden 12 Volksliedersingen in ganz Österreich veranstaltet, in Niederösterreich eines 1935 in Payerbach und 1937 eines in Waidhofen an der Ybbs mit Sängerinnen und Sängern aus der oberösterreichischen und niederösterreichischen Eisenwurzen. Gegenüber der Bayerischen Vorlage rückte man in Österreich ab dem 2. Volksliedersingen in Eisenstadt vom Gedanken des Wettbewerbs ab.
Der volkskundliche Schwerpunkt des jungen Senders erwies sich bald als Möglichkeit zur Etablierung einer konservativen Radio-Alltagskultur und wurde ab 1933/34 zum Bestandteil kultureller Propaganda. Ziel des volkskundlichen Programms war es zwar, Volkskultur mit Mikrophon und Aufnahmegerät in den kulturellen Randgebieten zu erforschen, damit dem „Ursprünglichen und Echten“ auf die Spur zu kommen und es vor dem Untergang zu retten. Dies führte umgekehrt aber zu einer der Volkskultur abträglichen Kanonisierung und Erstarrung volkskultureller Phänomene. Gleichzeitig instrumentalisierte die Regierung im „Ständestaat“ die RAVAG und damit das Radio als mittlerweile populär gewordenes Massenmedium. Das Radio solle „das ganze Volk in einheitlicher Willensbildung zusammenfassen“, wie es Oskar Czeija, der Generaldirektor der RAVAG, formulierte. Volkskundliche Themen und Volksmusik wurden zu einem unverzichtbaren Bestandteil zur Stärkung des Heimatgedankens und zur „Förderung des heimischen Kulturgutes“, wie Rudolf Henz schrieb. Im Rahmen der Volksbildung der Vaterländischen Front richteten Karl Magnus Klier und Raimund Zoder Volkslied- und Volkstanzkurse ein. Ziel dieser Sendereihe ab Herbst 1934 war das aktive Erlernen von Volksliedern und Volkstänzen.
Schon seit den Anfängen des Radios in Österreich bilden Volksmusik und Radio eine Symbiose. Die RAVAG fungierte seit ihrer Gründung 1924 als unverzichtbare Partnerin des Österreichischen Volksliedunternehmens in der Erforschung, Pflege und Überlieferung von Volksmusik und Volksliedern. Sie band das Volksliedunternehmen von Anfang an in die Programmgestaltung und in dafür notwendige Entscheidungsprozesse ein und bot andererseits der Volksmusik eine österreichweite Bühne.
Auch heute können wir im Radio noch feinste Volksmusik genießen, zum Beispiel bei aufhOHRchen, jeden Dienstag 20.00 Uhr auf ORF Radio Niederösterreich. Hier geht´s zu den letzten Sendungen.
(Peter Gretzel)
Abbildungen:
Georg Kotek, NÖ Volksliedarchiv (BA 2113)
Blaa-Alm 1929, NÖ Volksliedarchiv (BA 508)
Volksliedersingen 1937 in Waidhofen an der Ybbs, Radio Wien, Jg. 1937, Heft 41 vom 9. Juli 1937.
Volksliedersingen RAVAG Payerbach 1935 mit Andreas Reischek (BA 961)