„Ulrike, hättest Du Noten für mich? Ich sing da mit meinem kleinen Chor beim Erntedankfest.“ Oder auch „Ich bräuchte noch ein paar schöne Lieder, die wir bei unserem Konzert singen können. Nicht zu schwer.“ Nun, ich bin kein Archiv. Aber es gibt ein Archiv: Das Niederösterreichische Volksliedarchiv, das viele Schätze bereithält. Daraus singen wir. Wir erkunden das Archiv, erfahren, wie man mit Hilfe der Archiv-Datenbank oder persönlich vor Ort oder per Telefon Lieder findet. Und ganz nebenbei tauchen wir tiefer ein in den Schatz der Lieder, bei denen es von ein und demselben Stück ganz interessante, nicht veröffentlichte Varianten gibt. Bekanntes, Rares und viel zum Singen erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der zweiten Archivprobe der Volkskultur Niederösterreich.
Die Archivprobe richtet sich an alle, die das Volksliedarchiv des Landes NÖ entdecken wollen: Sänger und Sängerinnen, Chorleiter und Chorleiterinnen, Laien, Profis, Studenten und Studentinnen, Kindergartenpädagogen und Kindergartenpädagoginnen, Musikschulehrer und Musikschullehrerinnen, Elementarpädagogen und Elementarpädagoginnen, Menschen mit viel Ahnung und solche, die vollkommen zweckungebunden einfach nur staunend etwas Neues kennenlernen und dabei einen anregenden Nachmittag verbringen wollen. Einzige Voraussetzung: Freude am Singen.
Etwa drei Stunden lang werden wir nicht nur singen, sondern uns damit beschäftigen, wie man nach einem bestimmten Lied sucht, wie man zu einem Thema nach Liedern recherchiert, werden uns mit der Frage nach der „richtigen“ Fassung beschäftigen, werden versuchen, die eine oder andere Handschrift zu entziffern, Noten-Detektivgeschichten auf den Grund gehen und dabei singen, lesen, singen. Wir werden auch in den Katalogen des Archives stöbern, Einsichten in die Sammlungen gewinnen und lernen, wie man die online Datenbank bedient und was man tut, wenn man gar nicht weiter weiß beim Liedersuchen.
Aufgrund der Nähe zum Advent- und Weihnachtsfestkreis singen wir nicht nur Lieder über die glückliche und die unglückliche Liebe (das Thema schlechthin), sondern auch Weihnachtslieder, Neujahrslieder, Lieder für Hochzeiter, für Marienfeste und beschäftigen uns dabei auch mit Liedern, die die soziale Lage vergangener Generationen auf einfache Art und Weise, jedoch unverblümt, ja schonungslos offenlegen.
Seit meinen Studienzeiten (ich habe in Wien Musikerziehung, Konzertfach Orgel, Instrumentalpädagogik, Kirchenmusik und Französisch studiert) beschäftige ich mich mit dem Vergleich von Notenquellen, damals noch zur Verfügung gestellt von den europäischen Bibliotheken auf Mikrofilm. Für mich immer sehr spannend! Aber fast jede und jeder kennt die Aussage eines (Mit)sängers, wenn man ein ganz einfaches Stück singt: „Na, des håma åba imma ! gånz ! ånders gsunga.“ Ja, was jetzt, so oder so? Und dann muss der Chorleiter, die Chorleiterin zum besseren Argumentieren nachdenken, nachschauen, ein wenig recherchieren und entdeckt manchmal eine spannende Überlieferungsgeschichte zu diesem Lied.
Als Leiterin verschiedenster Chöre (zwischenzeitlich gleichzeitig drei) und als Pädagogin am Diözesankonservatorium für Kirchenmusik u.a. im Fach Ensemble- und Ensembleleitung war ich natürlich auch selbst in derartigen Situationen. So ist es mir nicht nur einmal passiert, dass das Archiv dabei eine große Hilfe war, besser gesagt der Ausgangspunkt für die textliche Geschichte eines Liedes, die mal spannend, gruselig oder erschütternd, aber manchmal auch komisch und sehr lustig war. Manch ein Text war in seinem Original so direkt in der Sprache, dass es in der nächsten Chorproben manch‘ Sänger kurz die eigene Sprache verschlagen hat. Lacher der anderen inklusive.
Wir werden also aus dem Vollen schöpfen können, mit den Quellen des Archives arbeiten, uns ein Lied auch mehrstimmig „ersingen“ und mit Handschriften in Berührung kommen. Bitte nach Möglichkeit einen Laptop (oder bei Nichtvorhandensein ein Smartphone) mitbringen, so können wir das Recherchieren online alle gleichzeitig üben.
Die Probe dauert von 16.00 bis 18.30 Uhr und anschließend wird auch Zeit für individuelle Fragen und Austausch untereinander sein.
Ulrike Weidinger