Adventlieder zum Weihnachtsfestkreis aus der Sammlung Joseph Gabler
Joseph Gabler wurde am 21. Jänner 1824 in Ramsau (Pfarre Altpölla) im Waldviertel geboren. Sein Vater war von Beruf Schmiedemeister und Landwirt, darüber hinaus bekleidete er das Ehrenamt als Vorbeter und Vorsänger. So war die religiöse Atmosphäre im Elternhaus prägend für den jungen Joseph Gabler, der sich früh für das Priesteramt entschied.
Der St. Pöltner Bischof Ignaz Feigerle erkannte die Fähigkeiten des jungen Priesters und berief ihn 1855 zu seinem Sekretär. In den folgenden elf Jahren nützte Gabler die bischöflichen Visitationsreisen zum Sammeln der in den Pfarren gepflegten Singweisen.
Anerkennung erwarb er sich bald auch als eine der führenden Autoritäten des Cäcilianismus, jener kirchenmusikalischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts, die sich die Rückbesinnung auf eine liturgiegerechte Kirchenmusik zum Ziel gesetzt hatte.
1866 wurde Gabler Pfarrer in Neuhofen, 1886 berief ihn der Bischof zum Stadtpfarrer und Dechant in Waidhofen an der Ybbs. Zu diesem Zeitpunkt konnte er bereits auf ein umfangreiches literarisches und musikalisches Schaffen zurückblicken, das Lieder- und Gebetsbücher, musikwissenschaftliche, theologische, kirchenrechtliche und pädagogische Schriften umfasste.
Geistliche Volkslieder als Ausdruck der Volksfrömmigkeit
Größte und nachhaltigste Verdienste erwarb sich Joseph Gabler um das geistliche Volkslied. In vierzigjähriger Sammelarbeit hatte er aus Manuskripten und mündlicher Überlieferung der Vorbeter, aus alten Liederdrucken und –büchern insgesamt mehr als 1.200 Liedtexte und rund 400 Melodien aus der Diözese St. Pölten „aufgesucht und gesammelt, wie man arme Waisen in ein Asyl sammelt“, wie Gabler in der Vorrede (S. XII) zu seinen Geistlichen Volksliedern von 1890 formulierte.
„Von dem neugebornen Heiland“ – Geistliche Volkslieder zum Weihnachtsfestkreis
Inhaltliche Grundlage für die Liedtexte zum Weihnachtsfestkreis bilden die entsprechenden Passagen aus dem Lukas- und dem Matthäusevangelium (Lk, 1-2 und Mt, 1-2). Daraus entwickelten sich verschiedene thematisch mehr oder weniger klar abgrenzbare Liedgruppen.
So bringt etwa die Gruppe der Adventlieder einerseits die alttestamentarische Hoffnung auf die ersehnte Ankunft des Messias zum Ausdruck, andererseits wird an eine heute weitgehend vergessene, vielleicht sogar verdrängte Seite des Advents erinnert: an die Erwartung der Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten – und diese ist ernst, ja dramatisch!
Im Evangelium des ersten Adventsonntags findet sich deshalb auch keine Spur von „fröhlicher Weihnachtszeit“. Es geht vielmehr um gewaltige Naturkatastrophen und die Angst der Menschen „in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen“. An diesem Ende der Welt, an unserem eigenen Ende, wird man „den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit kommen sehen“ (Lk 21,25-27). In diesem Sinne prägten in der alten Kirche vor allem Besinnung und Buße die Stimmung im Advent.
Die ernste Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott spiegelte sich besonders im Fastengebot wider, das mit dem hl. Martin am 11.11. begann und 40 Tage dauerte. Seit 1917 ist diese Fastenzeit kirchlich nicht mehr vorgeschrieben und geriet, wie auch das einstige Tanzverbot („Kathrein stellt den Tanz ein“), im Laufe der Zeit in Vergessenheit. Wer bewusst hinhört, wird in den von Joseph Gabler gesammelten Liedern zum Advent den ambivalenten Charakter jener Zeit mit ihren gleichermaßen erwartungsvoll-freudigen wie auch besinnlich-ernsten Aspekten erkennen.
Daneben finden sich in der Sammlung Gabler auch Marien- und Verkündigungslieder, Lieder zur Herbergsuche, Lieder zur Geburt Jesu, Hirten-, Krippen- und Engellieder sowie geistliche Wiegenlieder.
Es gibt so manchen Schatz zu entdecken in jenen wunderbaren alten Volksliedern zum Weihnachtsfestkreis aus der Diözese St. Pölten. In diesem Sinne möge das von der Volkskultur Niederösterreich herausgegebene Chor-Liederbuch „Im Himmel beim Christkind“ als Danksagung und Reverenz an Joseph Gabler verstanden werden, der jene „einfachen gemüthvollen Erzeugnisse des heiligen Glaubens, der sie aus dem Herzen des Volkes hervorrief oder dessen treu-bewahrendem Sinne übergab“ (Vorrede S. VI) der Nachwelt erhalten und damit uns zum Geschenk gemacht hat!
Anlässlich des 200. Geburtstags von Joseph Gabler fanden 2024 verschiedene Veranstaltungen ihm zu Ehren statt. Nach einem Gottesdienst im Dom zu St. Pölten, einem Symposium in Spitz, dem Festgottesdienst innerhalb des Festivals aufhOHRchen in Neumarkt an der Ybbs und dem Fest des Singens im Stift Geras schließt das Joseph-Gabler-Gedenkjahr mit einem Konzert am 13. Dezember im Haus der Regionen in Krems-Stein im Rahmen des „Advent in Stein“.
Die Sängerinnen und Sänger des Wachau-Chores Spitz präsentieren unter dem Titel „Im Himmel beim Christkind“ Advent- und Weihnachtslieder aus der Sammlung Gabler bzw. dem erwähnten Chor-Liederbuch. Die Volkskultur Niederösterreich präsentiert an diesem Abend auch erstmals die neu erschienene gleichnamige CD mit dem Wachau-Chor Spitz und dem international renommierten österreichischen Theater- und Filmschauspieler Johannes Silberschneider (Rezitation).
Claus Hamberger