Frauen in der Volkskultur

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(c) Volkskultur Niederösterreich

Vor 50 Jahren noch die bemerkenswerte Ausnahme, sind Frauen in der Volkskultur heute sowohl praktizierend als auch zahlenmäßig signifikant vertreten.

Warum ist das so? Ich denke, das hat zweifelsohne mit dem allgemeinen Wandel und der Entwicklung der Gesellschaft zu tun. Das Frauenwahlrecht wurde in Österreich im Jahr 1918 eingeführt und ziemlich zeitgleich die Studienberechtigung für Frauen erlassen. Die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau wurde erst in den vergangenen Jahrzehnten thematisiert und neu entworfen. Soweit zum Hintergrund.

Wahrscheinlich spielten Frauen zu allen Zeiten Musik, auch wenn wir wenig darüber wissen. Ein berühmtes Beispiel, das immer wieder zitiert wird, handelt vom Leben und Wirken der Komponistin und Pianistin Clara Schumann (1919 – 1896). Über das Musikleben der so genannten „kleinen Leute“ gibt die Geschichtsschreibung weniger Auskunft.

Einzelne Belege aus der Volksmusikforschung der vergangenen 300 Jahre weisen darauf hin, dass Frauen bei der Arbeit und in Frauengemeinschaften, etwa in der Kirche und Männer im Wirtshaus gesungen haben.

Im Wirtshaus gaben Männer den Ton an. (c) Volkskultur Niederösterreich
Im Wirtshaus gaben Männer den Ton an. (c) Volkskultur Niederösterreich
Frauen sangen bei der Arbeit - hier beim Federnschleiß´n. Foto: NÖ Volksliedarchiv
Frauen sangen bei der Arbeit – hier beim Federnschleiß´n. Foto: NÖ Volksliedarchiv

Frauen als Tanzbodenmusikantinnen kennen wir erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dazu ein kurzer Exkurs: In den 1970/80er-Jahren hatte ich mein Schlüsselerlebnis zum Thema Volksmusik erfahren und damit auch die Richtung für meine zukünftige Berufslaufbahn eingeschlagen. Ich durfte eine Feldforschung im Übelbachtal für das Steirische Volksliedwerk durchführen. Es begann mit einer handschriftlichen Notensammlung, die eines Tages vor unserer Haustüre lag. Die Tochter eines weitum bekannten und begehrten, bereits verstorbenen Tanzbodengeigers vermachte sie mir, weil sie meinte, ich könne sie brauchen, war ich doch Geigenschülerin in der Musikschule. Ausgehend von dieser wertvollen Sammlung der Gattungen Walzer, Polka, Polka Franzee, Marsch, Mazurka, Lieder und Weisen u. a. versuchte ich, über die Tanzmusik des Tales bei Kirtagen, Hochzeiten und Unterhaltungen von einst und jetzt viel zu erfahren und zu dokumentieren.
Unter den Spielleuten fand sich keine einzige Frau. Erfahren konnte ich eher von Ehefrauen, dass sie so gar nicht begeistert über das lange, oft tagelange Ausbleiben ihrer Ehemänner waren beim Neujahrsgeigen, Alkoholkonsum oder anderen Verführungen. Denn „Gelegenheit macht den Dieb“, bekam ich immer wieder zu hören.
Beinahe zeitgleich gründeten Rudi Pietsch (1951 – 2020) und Hermann Härtel (geboren 1949) ihre Steirischen Tanzgeiger in der Besetzung mit zwei Geigen, Steirische Harmonika, Bratsche und Bassgeige. Das Heanzenquartett aus dem Burgenland in gleicher Besetzung, aber ohne Steirischer Harmonika, bestand schon ein paar Jahre früher. Und plötzlich waren Frauen mit dabei: die Bassgeigerin Sissi Groß-Paul, die Geigerin Inge Härtel, geborene Pabi, und die Bratschistin Franziska Pietsch-Stockhammer (1955 – 2001). Zahlreiche Volksmusikwochen und -seminare trugen fortan dazu bei, dass sich junge Frauen für das Volksmusikmusizieren interessierten. Und schließlich boten die Musikschulen in Österreich und speziell auch in Niederösterreich die fantastische Möglichkeit, Instrumente zu erlernen und in Ensembles zu musizieren. 1990 wurde die erste Basis mit einem Musikschulgesetz geschaffen, das Musikschulgesetz 2000 machte einen noch nie dagewesenen Aufschwung möglich.

Julia Strasser. Die Harfinistin aus Tirol war heuer Jurorin beim NÖ Volksmusikwettbewerb im Haus der Regionen, Krems-Stein. Foto: Veronika Spielbichler

Julia Strasser. Die Harfinistin aus Tirol war heuer Jurorin beim NÖ Volksmusikwettbewerb im Haus der Regionen, Krems-Stein. Foto: Veronika Spielbichler

Heute ist das Verhältnis männlich-weiblich beim Musikmachen und Musiklehren ziemlich ausgewogen, tendenziell überwiegen sogar die Frauen. Aktuell liefert das Musikschulmonitoring des Schuljahres 2023/24 folgende Daten: Von 62.023 Musikschülerinnen und -schülern sind 25.549 männlich und 36.474 weiblich. Von 2.153 Lehrerinnen und Lehrern sind 1.038 männlich und 1.115. weiblich.

Es gibt Fächer, die sind weiblich dominiert, andere männlich – jedenfalls wirkt sich das auf den Prozentsatz des weiblichen Anteils sowohl bei der Belegung des Fachs, als auch beim Lehrpersonal aus.
Was die fächer- und geschlechterspezifische Auswertung anlangt, sind Zahlen aus dem Schuljahr 2022/23 verfügbar.
Im Fach Harfe sind 93% Schülerinnen und 95% Lehrerinnen (Erst 1997 war die erste Wiener Philharmonikerin eine Harfenistin.) – Querflöte 95% Schülerinnen und 83% Lehrerinnen – Tanz 96 % Schülerinnen und 91% Lehrerinnen – Hackbrett 86% Schülerinnen und 78% Lehrerinnen, gezählt.
Im Gegensatz dazu sind bei den Blechblasinstrumenten 23% Schülerinnen und 10% Lehrerinnen oder bei den Schlaginstrumenten 13% Schülerinnen und 7% Lehrerinnen.

Das junge Frauen-Gesangs-Ensemble freiklang. Foto: Andreas Ploderer
Das junge Frauen-Gesangs-Ensemble freiklang. Foto: Andreas Ploderer

 

Die Funktion von Volksmusik hat sich gewandelt. Begleitete sie ursprünglich mit ihren Liedern und Weisen, dokumentiert in den Volksliedarchiven, den Gang durch das Leben und durch das Jahr, spielt sie heute mit im Konzert der vielen Performences. Dazu gehören Meister der Instrumente, Eigenkompositionen, neue Bühnen, mediales Interesse. Viele Ensembles entwickelten und entwickeln ihren Personalstil mittels eigenem künstlerischen Anspruch und zwar mehr oder weniger traditionell oder stiloffen. Beispiele liefern neben gemischten Ensembles und reinen Männerpartien selbstverständlich auch Frauenensembles wie „die Prömmerinnen“, „Whitch“ oder „Divinerinnen“, u.a. Beim Gesang ist man möglicherweise stilistisch eindeutiger unterwegs, wie zum Beispiel der „Scheibbser Dreier“, „Frauenkompott“ oder „freiklang“ u.a.

Noch ein Blick zur Frau im Liedtext. Der Großteil der handschriftlichen Aufzeichnungen stammt aus dem 19. Jahrhundert. Viele davon sind Liebeslieder, in denen die Frau meist als Objekt des Begehrens aufscheint. Erzählt und beschrieben werden die erfüllte, unerfüllte oder heimliche Liebe. Letztere sei die schönste. Und Gleichberechtigung findet sich in diesen Texten wohl kaum, wenige Beispiele ausgenommen. Folgender Beleg verkehrt die Gewalt von Männern an Frauen, die üblich war: Sammlung A, Mappe 418, Beleg 207 B (Sammlung Karl Liebleitner). Die ersten Aufzeichnungen dieses Liedes finden sich um 1800.

Handschrift aus dem Volksliedarchiv der Volkskultur Niederösterreich, Reihe A, Mappe 418, Beleg 207 B.
Handschrift aus dem Volksliedarchiv der Volkskultur Niederösterreich, Reihe A, Mappe 418, Beleg 207 B.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Kurrentschrift Übersetzung:

´s Bedlweib.
1. ´s Bedlweib will am Kirtåg gehen, ihr Månn wollt´ auch mitgehn.
2. Lieber Månn, Du muaßt z´hause bleib´n, muaßt Schißl und Täller reibn!
3. Schißl und Täller is nit gnua, Schaffl und Bittl a dazua!
4. Den zweitn Tåg kumt s´Weiberl z´haus: Månn, wia schaut´s in da Wirtschåft aus?
5. Såg, wia viel ham d´Heahner buckt? D´Schwarz håt die G´scheckert g´schupft.
6. Und wias ins Zimmer kimmt, frågts: Mei Mandl, wårst recht gschwind?
7. I håb går viel scho tån, drei Widl hån i gspunna schon!
8. ´n Bedlweib wår dås nit gnua, schlågt auf´n Månn tüchti zua.
9. ´s Bedlmandl fångt z´woana ån, bin hålt a gschlågener Månn!
10 ´s Bedlmandl tuats in Richter klågn, daß´n sein Weib håt gschlågen.
11. Da Richter sågt: gschiacht da recht, wås bist für a Weiberknecht!
12. ´s Bedlmandl tuats in Nåchbarn klågn, daß´n sei Weib håt gschlågn.
13. Nåchbar, i muaß da´s sågn, d´ Mein´ håt mi selba gschlågn.

Volksmusik und Volkskultur sind rein sprachlich betrachtet weibliche Begriffe, „die“ Volksmusik und „die“ Volkskultur. Man kann sagen, dass dieser Tatsache in den vergangenen Jahrzehnten Rechnung getragen wurde.

Am kommenden Donnerstag, zu Maria Himmelfahrt am 15. August findet die alljährliche Goldhauben- und Trachtenwallfahrt nach Pöchlarn statt. Im Volksmund wird dieser Tag „großer Frauentag“ genannt, geht es doch um die Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel.

Dorli Draxler
August 2024