Ist Volkstanzen ein Leistungssport?
Auf die Frage „Welchen Sport machst du?“ antworte ich immer mit „Ich mach keinen, das interessiert mich nicht.“
Nie im Leben würde ich auf die Idee kommen, mich in einem Fitnessstudio anzumelden oder freiwillig stundenlang mit dem Rad unterwegs zu sein. Ich fahre deswegen mit dem Rad, weil ich schnell etwas einkaufe oder mir die Gegend anschauen möchte, beispielsweise in der Wachau.
Da kann man spontan stehenbleiben, die Natur genießen und dann gemütlich weiterfahren. Zu Hause nach der Arbeit denke ich auch nicht an ein Work out im Wohnzimmer mit Squats (so nennt man Kniebeugen heute) oder Hanteltraining, sondern an ein gutes Buch oder einen spannenden Krimi.
Ich gehe Volkstanzen, und das seit ich 11 Jahre alt bin. Aber Volkstanzen war für mich nie ein Sport, sondern eine gemeinsame Aktivität mit Freundinnen und Freunden in geselliger Runde. Klar, es ist schon anstrengend, wenn man eineinhalb Stunden konzentriert probt, aber den Vergleich zu Sport habe ich nie gesehen.
Erst als ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tanzen gehen konnte, merkte ich eine Veränderung meiner Kondition. Unser Büro liegt im zweiten Stock im Haus der Regionen in Krems-Stein, und es wurde immer anstrengender, in der Früh die Stiegen hinaufzugehen.
Wie kann das sein, dass allein die Tatsache, dass ich nicht mehr volkstanze, Einfluss auf so etwas Banales wie Stiegensteigen hat? Die Antwort kam mir erst viel später, bei Gesprächen mit meinen Physiotherapeuten, und im Zuge der Recherche zu diesem Artikel im Gespräch mit meinem Mann. Der liebt Sport.
Wenn ich an meinen Belastungstest bei der Kardiologin zurückdenke, musste ich dabei 20 Minuten am Ergometer radeln. Schon anstrengend, aber es war zu machen, denn es war ja einfach nur die Beine und ein bisschen die Hüfte bewegen, alles andere, wie meine Arme, konnte ruhen.
Wenn ich da an die Proben für unsere letzte Auslandsreise (siehe Blogartikel „Tanz um die Welt“) denke, waren diese im Vergleich zum Ergometer viel anstrengender. Beim Volkstanzen wird der ganze Körper mitbewegt, alle Gliedmaßen kommen gleichermaßen zum Einsatz und es wird gehüpft und gesprungen.
Wo liegt dann der Unterschied zum traditionellen Sport, wie z.B. dem Joggen? Die Füße bewegen sich und man bewegt sich vorwärts, das macht man beim Tanzen auch. So gesehen ist die einstündige Probe einmal in der Woche fast wie eine einstündige Laufeinheit.
Dieser Ansatz interessiert mich und ich fragte meinen Mann, der aus Liebe zu mir mit dem Volkstanzen angefangen hat: „Wie ist das, wenn du laufen gehst? Kannst du das mit dem Tanzen vergleichen? Wie lange sind deine Springschnurintervalle?“ Und siehe da, es ergeben sich Parallelen. Ich könnte den „Eckerischen“ (er heißt auch „Tanzbodensturm“) eigentlich auch zwei Kilometer lang geradeaus tanzen. Interessant. Springschnurspringen ist im Prinzip das Hüpfen von einem Bein auf das andere, das machen wir bei der „Veitscher Masur“ auch. Hier muss man noch zusätzlich vernetzt denken, denn der Ochsengalopp ist schon „knifflig“.
Plötzlich ist es klar: Volkstanzen ist so viel mehr als nur tanzen: Konzentration, Abläufe merken, auf den Rhythmus achtgeben, aber auch die Koordination und Motorik von Händen und Füßen und am allerwichtigsten – atmen!
Wenn das Volkstanzen dann noch eine öffentliche Komponente hat, wie z.B. beim Auftanzwettbewerb der Landjugend NÖ, braucht es zusätzlich noch eine ordentliche Portion Disziplin, sonst bringt das ganze Üben nichts.
Ach ja, wir waren ja beim Springschnurspringen. Mein Mann macht vier Intervalle zu je fünf Minuten, das Tempo langsam steigernd, dazu hört er Motivationsmusik. Wenn ich das jetzt aufs Tanzen umlege, wären das zuerst mal der „Siebenschritt“, die“ Kuckuckspolka“ und der „Tulpinger Fensterltanz“, also erstes Intervall erledigt. Dann kommen „Knödldrahner“ und der „Spanltanz“, gefolgt vom „Schottischen aus dem Pielachtal“ und dem „Kolo“. Folgt im letzten Intervall die „Veitscher Masur“ und als Abschluss der „Schlittschuhläufer“. Diese Tänze kann ich also gleichstellen mit 20 Minuten Springschnurspringen, wer hätte das gedacht.
Voraussetzung für den Vergleich ist sicher die Leichtfüßigkeit der Tänzerinnen und Tänzer. Denn auch beim Volkstanzen ist das Sprunggelenk ein wichtiger Teil unseres Bewegungsapparates.
Wenn man dann noch, so wie ich früher, als Tanzleiterin die Schritte mitspricht, damit alle wissen, welche Figur nun kommt, ist mir vollkommen klar, warum ich keine Kondition mehr hatte, als ich nicht mehr tanzte. Tanzen, Sprechen, Atmen und Denken gleichzeitig – das alles einmal in der Woche für über eine Stunde lang.
Und bei diesen ganzen Überlegungen hatte ich nur vom Volkstanzen gesprochen, jetzt denken Sie mal übers Schuhplatteln nach! Wie anstrengend muss es wohl sein, wenn man eine halbe Stunde Auftritt in der Lederhose mit den schweren Schuhen hat.
Aber es gibt nicht nur Volkstanzen mit Erwachsenen und das Schuhplatteln. Die Volkstanzszene hat noch so viele weitere Bereiche, an die hier gedacht werden sollte. Beispielweise an die Kinder, laut Studien ist der Bewegungsmangel bei Kindern ein immer größer werdendes Problem und es wurde über eine tägliche Turnstunde nachgedacht. Könnte hier nicht auch das Volkstanzen und Schuhplatteln mit Kindern eine Lösung sein?
Ein anderes Beispiel sind die Senioren: Volkstanzen regt ja auch die Merkfähigkeit an, somit kann der Volkstanz einer möglichen Demenz entgegenwirken!
Ich halte kurz inne und denke mir – hat dieses Thema schon mal jemand wissenschaftlich erforscht? Ich finde viele Artikel zum Thema Tanzen und Leistungssport, allerdings immer im Kontext mit Standard- oder lateinamerikanischen Tänzen. Ich finde, hier sollte das Volkstanzen und Schuhplatteln auch eine Rolle spielen.
Übrigens: 2017 durften die Tänzerinnen und Tänzer der Tanzgruppe Taktvoll in Schwechat die Weltmeisterschaft der lateinamerikanischen Tänze mit den Fahnen der Nationen eröffnen und auch eine Choreografie aus Volkstänzen aufführen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, ich war ziemlich aus der Puste am Ende der 5:30 Minuten. 2018 zeigten wir diese Choreografie am 7. Niederösterreichischen Trachtenball in Grafenegg (zu sehen auf Youtube unter Tanzforum Niederösterreich, 7. NÖ Trachtenball).
Eigentlich müsste man bei Volkstänzerinnen und Tänzern, Schuhplatterinnen und Schuhplattlern Herzfrequenzmessungen durchführen, um zu sehen, wie sehr es den Körper fordert. Wobei sich mir die Frage aufdrängt – wieviele Tänzerinnen oder Tänzer machen eigentlich noch zusätzlich zum Tanzen Sport? Eine Umfrage auf Instagram ergibt 28% machen zusätzlich Sport, 72% finden tanzen und platteln ist genug Sport.
Vielleicht ist das ein erster Anlass für eine Wissenschaftliche Erforschung von „Volkstanz als sportliche Betätigung“. Wer aber einfach nur schöne Volkstänze in Vollendung sehen möchte, dem empfehle ich den Auftanzwettbewerb „Auftånzt & Aufg’spüt“ der Landjugend Niederösterreich am Sonntag, 12. Mai in der Burgarena Reinsberg.
Christina Strasser
P.S.: Sollte mich jetzt jemand fragen welchen Sport ich mache, antworte ich: Volkstanzen!