Weihnachtslieder begleiten uns in diesen Tagen und Wochen auf Schritt und Tritt, ob als adventlich-weihnachtlich etikettierte Dauerbeschallung, ob in verzaubernden und stimmungsvollen Advent- oder Weihnachtssingen, ob bei der Pflege eines Brauches oder im gemeinsamen Singen und Musizieren zuhause. Weihnachtslieder transportieren Stimmungen, geben Geborgenheit, wecken Erinnerungen, wollen unterhalten oder erzählen von den geheimnisvollen Geschehnissen rund um den Stall in Bethlehem und die Geburt Christi. Die Menge an Weihnachtsliedern ist im Laufe der Jahrhunderte ins Unüberschaubare angewachsen und reicht bis in unsere Tage, wenn namhafte Größen der Popmusik regelmäßig rechtzeitig vor Weihnachten passende Songs beisteuern – sehr zur Freude ihrer Fans.

Wie lange dauert dieser Weihnachtslieder-Hype eigentlich schon an? Welche Wurzeln haben die Weihnachts-Ohrwürmer und welche Zeit spiegeln sie wider? Beginnt alles im Stall von Bethlehem oder doch wenigstens eine Generation danach oder doch spätestens dann, als das Christentum im 4. Jahrhundert im Römischen Reich den Status einer Staatsreligion erlangte?

Jahrhundertelang gab es außer den lateinischen Hymnen der Liturgie und des Stundengebets entweder keine volkssprachigen Weihnachtslieder oder aber es gibt keine Quellen, die über sie berichten könnten. Zunächst schien es keinen wirklichen Bedarf an Weihnachtsliedern zu geben, war doch Ostern und nicht Weihnachten das Hauptfest der Christenheit. Selbst die Festlegung der Feier der Geburt Christi auf den 25. Dezember ist in Ermangelung eines genauen Geburtsdatums Christi keine ursprüngliche Entwicklung. Als Weihnachten sich nach und nach als das zweite Hauptfest der Christenheit etablierte, wurde es zuerst in der Liturgie in Klöstern, Kathedral- und Pfarrkirchen, in denen sich die Gläubigen zur Feier des Gottesdienstes versammelten, gefeiert.

Buchstäblich erste Weihnachtslieder in der alltäglichen Sprache der Menschen tauchten im deutschsprachigen Kulturkreis im späten Mittelalter auf, oft noch in lateinischer Sprache oder doch lateinisch und deutsch gemischt, textlich meist an die altkirchlichen Hymnen angelehnt und deren Melodik nachempfindend. Als im frühen 15. Jahrhundert Schöffen, angesehene Bürger in der Stadt Aachen, in ihrer Münsterkirche das Lied „Sei uns willkommen, Herre Christ“ („Sys willekomen, heire kerst“)  während der weihnachtlichen Mitternachtsmesse anstimmten, konnten sie nicht ahnen, dass man bis heute von ihnen sprechen würde, wenn von den ältesten Weihnachtsliedern die Rede sein würde.

Erste deutschsprachige Weihnachtslieder erklangen vorerst nachweislich in der Liturgie, da das Fest im öffentlich-kirchlichen Raum gefeiert wurde. Das Lied „Josef, lieber Josef mein“, das der Mönch von Salzburg im 14. Jahrhundert aufgezeichnet hatte, entstand wie so manch anderes Lied für den Brauch des Kindelwiegens in Klöstern und wurde zu diesem Zweck verbreitet. Das Lied blieb allerdings auch dann noch erhalten, als das Kindelwiegen im kirchlichen Raum längst als albern und einfältig abgetan und verboten worden war, aber im Brauchleben der Bevölkerung weiterlebte.

Die Entstehung von Weihnachtsliedern nahm Fahrt auf, als Martin Luther (1483-1546) die deutsche Sprache in die Liturgie einführte und damit deutschsprachigen Liedern Tür und Tor öffnete. Für die Liturgie brauchte es allerdings Lieder, die die Menschen singen konnten. Als Melodien zog man bekannte Volksweisen heran und versah sie mit religiösen Texten, so etwa das Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Evangelische Theologen wie Nikolaus Herman (1500-1561) „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“ und Michael Praetorius (1571-1621) „Es ist ein Ros entsprungen“ schufen Weihnachtslieder. Martin Luther selbst nahm für „Nun komm, der Heiden Heiland“ Anleihe beim Ambrosianischen Hymnus „Veni redemptor gentium“, übersetzte ihn und bearbeitete die Melodie, damit sie gemeinsam gesungen werden konnte. Auf katholischer Seite sorgte beispielsweise Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) und mit ihm weitere Jesuiten mit den Liedern „O Heiland, reiß die Himmel auf“ oder „Als ich bei meinen Schafen wacht“ für neue Weihnachtslieder. Diese Lieder nahmen Bezug auf den Weltenretter, den machtvollen Erlöser und den Sieger über die dunklen Mächte, wandten sich aber bald auch den Hirten und Engeln, Ochs oder Esel oder dem kleinen Jesulein in der Krippe zu.

Genügend Stoff für die nächste Generation an Weihnachtsliedern lieferten im 16. Jahrhundert Mitglieder des 1540 gegründeten Ordens der Jesuiten, die im Zuge der Gegenreformation damit beauftragt waren, die Bevölkerung in Glaubensangelegenheiten zu erziehen und zu unterweisen. Sie erreichten dies durch anschauliche Darstellungen der Glaubenswahrheiten und Biblischen Geschichten. In Bezug auf Weihnachten wurde die Lukanische Weihnachtserzählung herangezogen und szenisch aufbereitet. Lieder entstanden und übernahmen in dieser Form der Verkündigung eine narrative und dramaturgische Rolle für beliebte Szenen wie: Die vergebliche Suche nach einer Herberge in Bethlehem, thematisiert im Lied „Wer klopfet an?“, die Verkündigung der Geburt an die Hirten auf dem Feld durch Engel, der Stall außerhalb von Bethlehem wie in „Auf dem Berge, da wehet der Wind“, der Besuch der Hirten mit ihren schlichten Mitbringseln, der in „Es hat sich halt eröffnet“ anklingt und die Anbetung der Magier mit ihren Königsgaben im Lied „Die heil’gen drei König‘ mit ihrigem Stern“. All das wurde in Texte und Lieder verpackt, die die Menschen fassen und sich leicht merken konnten. Der Paradigmenwechsel war auch inhaltlich vollzogen: Der Welterlöser nahm Menschengestalt an und wurde einer, mit dem sich die Armen solidarisieren konnten. Hier haben viele Lieder zur Herbergsuche und die Krippen- und Hirtenlieder ihren Ursprung.

Spätestens ab da ist der Siegeszug der Weihnachtslieder nicht mehr aufzuhalten. Sogar im Gottesdienst erklangen nun zur Stärkung der Frömmigkeit der Gläubigen Hirten- und Engellieder auch im Dialekt. Der Chormusiker und Sakristan von Maria Taferl lieferte Anfang des 19. Jahrhunderts einen wertvollen, wenn auch kritisch-tendenziösen Bericht in seiner Kirche über die kirchenmusikalische Situation im ausgehenden 18. Jahrhundert, als Kirchensänger während der Mitternachtsmette Hirtenlieder wie „Auf! Singet, ihr Hirten und schenkt eure Gab“ zum Besten gaben. Erst eine Vereinheitlichung des Kirchengesangs und des Kirchenliedgutes drängte derartig gewachsene Traditionen zurück.

Da Gott einer von den Menschen wurde, konnte, durfte und sollte man ihn auch am eigenen persönlichen Leben teilhaben lassen, am Alltag in den Familien und in den Häusern. Krippen hielten Einzug in die Stuben und Wohnungen. Wie ein kleines Hausaltärchen stellte man sie auf und verrichtete davor die private Andacht mit Gebeten und Liedern. Weihnachtslieder, unter ihnen „Ihr Kinderlein kommet“, erklangen bei solchen Hausandachten. Parallel dazu begleiteten geeignete Weihnachtslieder das Ausüben von Bräuchen wie der Herbergsuche oder das umherziehende Heischen einer mittellosen Bevölkerungsschicht, die mit ihren Liedern Segen ins Haus brachten.

Verstärkt wurde diese „Privatisierung“ von Weihnachten in der Zeit des Biedermeier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. Da Hirten- und Engellieder sowie Lieder vom Besuch an der armseligen Krippe im Stall nicht so recht in einen wohl situierten Familienkreis passen wollten, schuf man Weihnachtslieder nach dem Geschmack der Zeit. Diese kreisten nun um den Lichterbaum „O Tannenbaum“, um Glockenklang „Süßer die Glocken nie klingen“, um das Christkind als Gabenbringer „Fröhliche Weihnacht überall“, um die fröhliche Weihnachtszeit „O du fröhliche“ oder um den Winter „Leise rieselt der Schnee“. Viele dieser Weihnachtslieder sind für Klavier und Singstimme gesetzt und für das Musizieren im Haus geeignet. In den Kirchengesangbüchern fanden sich dagegen die altehrwürdigen oder auch neu entstandenen frommen und theologisch gehaltvollen Weihnachtslieder wie „Stille Nacht, heilige Nacht“, „O Jubel o Freud“ oder „Kommet, ihr Hirten“.

Seit dem 19. und vor allem im 20. Jahrhundert verstärkte sich das Interesse an fremdsprachigen, vor allem an englischen Weihnachtsliedern. Bis heute gehören die „Christmas Carols“ „Deck the Halls“, „The First Noel“, „Jingle Bells“ und „What Child Is This?“ zu den beliebtesten Melodien. Die Liste der im 20. Jahrhundert neu entstandenen weihnachtlichen Pop-Songs reicht vom „Little Drummer Boy“ bis hin zu „Pure Imagination – Christmas Time Is Here“ der A-cappella-Gruppe „Pentatonix“, veröffentlicht im November 2023.

Weihnachtslieder bieten für jeden Geschmack etwas, ob sie süßlich-verkitscht, archaisch-altehrwürdig, anbetend-innig, freudig-jubilierend, seicht-unterhaltend, exotisch-fremdsprachig oder anheimelnd-mundartlich daherkommen. Sie singen in der Zeit vom zeitlosen und stets neu faszinierenden Weihnachtsfest. Es lohnt sich, in die Welt der Lieder dieser liedreichen Zeit einzutauchen und sich mitnehmen zu lassen.

(Peter Gretzel)

Literatur:

Ingeborg Weber-Kellermann, Das Buch der Weihnachtslieder, Mainz 1982.

Karl Magnus Klier, Weihnachtslieder und Hirtenspiele aus Niederösterreich, Klosterneuburg o. J.

Gerda Zottmaier, O freudenreicher Tag. Hundert Advents- und Weihnachtslieder aus alter Zeit, Wuppertal 1998.

Walter Hansen und Monika Laimgruber, Das große Liederbuch zur Weihnachtszeit, Wien 1999.