Zum 200. Geburtstag von Joseph Gabler (1824 – 1902)

Kein Straßenname erinnert an ihn und keine namhafte Einrichtung ist nach ihm benannt. Keine prominent positionierte Gedenktafel ist ihm gewidmet und nur wenigen ist sein Name heute noch geläufig. Kirchenhistoriker und Musikwissenschafter und sonstige Insider wissen allerdings um seine kirchliche und musikhistorische Bedeutung für das 19. Jahrhundert bis herauf in unsere Zeit. Die Rede ist vom Dechant und Stadtpfarrer von Waidhofen an der Ybbs: Joseph Gabler. In ihrer Kurzbiographie bezeichnet ihn die Volksmusikforscherin Gerlinde Haid als „einen der bedeutendsten Hymnologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts“. Es ist also mehr als an der Zeit, diese vielseitig begabte und wirkende Persönlichkeit anlässlich ihres runden Geburtsjahres genauer zu betrachten.

Joseph Gabler stammte aus einer kinderreichen Familie im Waldviertel, die vom Schmiedegewerbe und von einer kleinen Landwirtschaft in Ramsau bei Altpölla lebte. Die Gablers waren katholisch sozialisiert, der Vater Vorbeter und Vorsänger, Josef ein wissbegieriger Junge. Mit 14 Jahren wurde er ins Piaristengymnasium in Horn aufgenommen, kam nach bravourösem Abschluss nach Krems in einen zweijährigen Vorbereitungslehrgang auf das Theologiestudium und wurde schließlich ins Priesterseminar in St. Pölten aufgenommen. Humanistisch gebildet blieb seine musikalische Ausbildung über weite Strecken seiner Autodidaktik in der Freizeit vorbehalten. Notenlesen und das Flötenspiel betrieb er nebenbei – mit Erfolg, wie sich später zeigen sollte. Im Alumnat wurde er zum Musikpräfekten bestellt und ihm damit die Leitung des musikalischen Geschehens im Priesterseminar anvertraut. In seiner erübrigten Zeit erlernte er das Klavier- und Orgelspiel.

Wallfahrtsbuch
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Nach seiner Priesterweihe 1849 war Joseph Gabler an mehreren Seelsorgestationen tätig: in Altpölla, Waidhofen an der Thaya, Haugschlag, Neuhofen an der Ybbs und schließlich in Waidhofen an der Ybbs. Die Pfarrseelsorge und die spirituelle Erneuerung der Gemeinden waren ihm ein zentrales Anliegen. Diese versuchte er frei nach dem Ausspruch „mens sana in corpore sano“, wonach ein gesunder Geist und ein gesunder Körper zusammengehören, durch eine Instandsetzung und Verschönerung seiner Gotteshäuser zu unterstreichen.

In Gablers Zeit fällt das Ringen um eine Erneuerung der Kirchenmusik im gesamten deutschsprachigen Raum, das sich auf Diözesanebene bis in die Pfarren hinein fortsetzte. Der dem Verfall nahe gesehenen Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts und der Josephinischen Reformen meinte man durch Rückbesinnung auf den Gregorianischen Choral und die Polyphonie Palestrinas entgegen treten zu müssen. Diese als „Cäcilianismus“ bezeichnete kirchenmusikalische Entwicklung des 19. Jahrhunderts trat in verschiedenen gemäßigten bis radikalen Schattierungen auf. Gablers Verdienst war es, einer gemäßigten Richtung das Wort zu reden, die Altes und Neues als koexistent nebeneinanderstellen und die von den radikalen Anhängern einer rückwärtsgewandten Kirchenmusik verpönte Instrumentalmusik als österreichisches Proprium erhalten wollte. Obwohl Gabler nie an vorderster Stelle neu entstandener Vereine und Institutionen stand, war er doch Ideengeber und in der Diözese St. Pölten die maßgebliche, vom Bischof selbst eingesetzte Autorität in Sachen Kirchenmusik.

Als unverzichtbaren Teil einer Erneuerung der Kirchenmusik betrachtete Gabler den geistlichen Volksgesang, den er im alten und auch zeitgemäßen Kirchenlied ebenso verwirklicht sah wie in den geistlichen Volksliedern, die in der gläubigen Bevölkerung verankert und Ausdruck einer lebendigen Volksfrömmigkeit waren. Vielfach durch die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung bedroht und als überholt abgetan war das geistliche Volkslied ins Hintertreffen geraten. Um dem entgegenzutreten, sammelte Joseph Gabler seit seiner Jugendzeit und im Laufe seines jahrzehntelangen priesterlichen Wirkens bis ins hohe Alter mehr als 1.200 geistliche Volksgesänge und überlieferte zu den Texten mehrere hundert Melodien. Zahlreiche Lieder aus seiner Sammlung konnte er veröffentlichen: 1854 in einem „Katholischen Wallfahrtsbuch“, 1861 Marienlieder in den „Marien-Rosen“, 1884 in der „Neuen Geistlichen Nachtigall“ und 1890 in den „714 religiösen Volksliedern“. Die Gesang- und Gebetbücher waren hauptsächlich als Handreichungen für die Vorbeter auf dem Land gedacht.

Joseph Gablers profunde Kenntnis der Kirchenmusik und seine gemäßigte Haltung in Bezug auf eine Erneuerung waren im Zuge der längst fälligen Herausgabe eines Diözesangesangsbuchs gefragt. Zunächst wurde Gabler vom Ministerium für Kultus und Unterricht mit der Herausgabe eines Liederbuchs für katholische Volksschulen beauftragt. 1868 erschien ein Gebet- und Gesangbuch für die studierende Jugend. 1881 konnte das Gesangsbuch für die österreichische Kirchenprovinz mit einem dazugehörigen Orgelbuch aufgelegt werden, das Gabler gemeinsam mit seinem Freund und Mitstreiter, dem Gmundner Chorregenten Johannes Habert, erarbeitet hatte. Eine zweite Auflage folgte 1890. Eine überarbeitete Neuauflage folgte unter dem Titel „Te Deum laudamus. Gesangsbuch für die österreichische Kirchenprovinz.“ Dieses blieb bis 1931 in der Diözese St. Pölten in Gebrauch.

Wenn heuer Joseph Gablers gedacht wird, dann nicht bloß im Sinne einer Reverenz gegenüber einer kirchenhistorischen und -musikalischen Persönlichkeit. Gablers reichhaltige Sammlungen des Kirchenliedes und des geistlichen Volksliedes inspirieren den kirchlichen Volksgesang bis in unsere Tage. Wenn auch nicht viel den Weg bis in die heute gebräuchlichen offiziellen Kirchengesangsbücher gefunden hat, so transportieren Gablers Texte und Melodien dessenungeachtet eine zeitlose Gläubigkeit und Frömmigkeit, die nach wie vor berühren, anregen und aufgegriffen zu werden verdienen.

Am 21. Jänner 2024 fand ein Festgottesdienst im Dom zu St. Pölten zur Eröffnung des Gabler-Jahres statt, am 6. und 7. April 2024 wird es ein Symposium zu seinem Leben und Werk im Schloss Spitz geben.

(Peter Gretzel)