Wem gehört die Chormusik?

(c)Andrej Grilc

Gedanken zum vokalen Schwerpunkttag der Chorszene Niederösterreich am Sa 19. Oktober 2024

Kennen Sie den Geruch von neuen Büchern? Diese Mischung aus Druckerschwärze, den holzigen Zellulosefasern und der Prise Abenteuer, die uns beim ersten Aufschlagen entgegenweht. Jene außergewöhnliche olfaktorische Note besitzen nicht nur Romane, Krimis und sonstige kunstvolle Wortansammlungen – auch frischgedruckte Notenhefte verströmen einen betörenden Geruch.

Musikhaus Doblinger – erste Anlaufstelle für Noten

 

Und doch kommen viele Chorsängerinnen und -sänger selten bis nie in diesen Genuss. Der Wert des aus Verlegerhand in Auftrag gegebenen Notendrucks befindet sich seit der flächendeckenden Verfügbarkeit von Kopiergeräten und Copyshops im stetigen Sinkflug. Eine repräsentative Umfrage der evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland aus dem Jahr 2007 ergab etwa, dass in genanntem Jahr rund 700.000 illegale Kopien von den bundesweit aktiven Kirchenchören angefertigt wurden. Die entsprechende Dunkelziffer kann man sich mit etwas Fantasie ausmalen.

Die Situation in Österreich dürfte jener in Deutschland ähneln. Und obwohl die gesetzlichen Grundlagen, die im wesentlichen Teil im Urheberrechtsgesetz geregelt werden, klar und deutlich den Rechtsbruch durch Anfertigen von Kopien urheberrechtlich geschützter Werke definieren, gilt auch hierzulande das massenhafte Vervielfältigen von Chorwerken nach wie vor als eine Art Kavaliersdelikt.

Vor ziemlich genau drei Jahren veranstaltete die Chorszene Niederösterreich im Haus der Regionen eine Podiumsdiskussion, die denselben Titel trug wie dieser Blogartikel – „Wem gehört die Chormusik?“. Namhafte Diskutanten erörterten durchaus kontrovers die gebotene Fragestellung. Interessierte können diesen Diskussionsabend auf YouTube nachsehen. Was bei aller Pluralität der Meinungen unter dem Strich stehen blieb: Das Kopieren von Chornoten ist in aller Regel illegal. Der Strafrahmen bei Vergehen gegen das Urheberrechtsgesetzt beläuft sich von zivilrechtlichen Schadensersatzzahlungen bis hin zu empfindlichen Freiheitsstrafen innerhalb des Strafrechts (zumindest in der Theorie).

Da es aber selbst nach Erlöschen der gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod der Urheberin oder des Urhebers eines Werkes diverse Grauzonen gibt, die nur von Juristinnen und Juristen fachkundig ausgelegt werden können, wollen wir hier kein juridisches Seminar abhalten, sondern uns den praktischen Konsequenzen des massenhaften Kopierens von Chorliteratur widmen und eine Lanze für den Erwerb von Originalnoten brechen.

Alle Chorsängerinnen und Chorsänger brauchen Komponistinnen und Komponisten. Ohne sie gäbe es keine Chormusik, keine Konzerte und in letzter Konsequenz auch keine Chöre. Gäbe es keine Komponistinnen und Komponisten, so gäbe es auch keine Musikverlage. Letztgenannte sorgen für sorgfältige Editionen, die Praktikabilität in der Umsetzung und gute Lesbarkeit mit wissenschaftlich fundiertem Hintergrund garantieren. Und ohne Verlage gäbe es keine Musikalienhändler, die das Notenmaterial den vielen Chören im Land erst zur Verfügung stellen können.

Da der gesamte Komplex von der Komposition bis hin zur fertigen Partitur in den Händen der Chorsängerinnen und Chorsänger aufgrund des digitalen Wandels und der in den letzten Jahrzehnten immer mehr um sich greifenden Praxis des bedenkenlosen Kopierens in wirtschaftliche und inhaltliche Bedrängnis gebracht wird, hat sich die Chorszene Niederösterreich dafür entschieden, einen vokalen Schwerpunkttag zu veranstalten.

Am Samstag, dem 19. Oktober 2024, wollen wir bei einer erstmalig in Niederösterreich ausgerichteten Notenmesse, der Choral Music Fair, den Fokus auf den Wert und die Qualität von Originalnoten lenken. Gemeinsam mit dem Musikhaus Doblinger und den Kirchenmusikkonservatorien aus St. Pölten und Wien präsentieren wir zahlreiche Neuerscheinungen und fertig geschnürte Notenpakte für unterschiedliche Besetzungen und chorische Anforderungen. Ergänzen wollen wir diesen Tag mit einem Workshop mit Johannes Hiemetsberger und dem traditionellen Herbstkonzert der Chorszene Niederösterreich mit der international renommierten Company of Music . Sämtliche Informationen und Buchungsmöglichkeiten zu den Veranstaltungen finden Sie hier .

(c)Andrej Grilc

Das Respektieren und Schätzen des geistigen Eigentums und der kreativen Schaffenskraft sind Grundpfeiler unserer kulturellen Vielfalt und einer lebendigen Musiklandschaft. Lassen Sie uns gemeinsam den Duft frischgedruckter Noten genießen!