Der Alpenländische Volksmusikwettbewerb feiert 50 Jahre
Seit 1974 pilgern Jugendliche Ende Oktober nach Innsbruck, um am Alpenländischen Volksmusikwettbewerb teilzunehmen. Zweijährig ausgetragen, findet der Wettbewerb heuer zum 25. Mal statt. Für den Tiroler Volksmusikverein als Veranstalter wahrlich Grund genug, ein Jubiläumsjahr auszurufen.
Am Sonntag, dem 26. Mai 2024 luden die Verantwortlichen des Wettbewerbs zu einer Jubiläumsmatinee nach Innsbruck ein, um zum einen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vergangenen 50 Jahre zu präsentieren und zum anderen eine Jubiläumsausstellung zu eröffnen.
Aber der Reihe nach. 1974, als der erste Wettbewerb durch den in Niederösterreich geborenen und in Tirol wirkenden Musikpädagogen und Musikwissenschaftler Josef Sulz (1930 – 2016) ins Leben gerufen wurde, ahnte niemand, dass sich daraus der größte und bedeutendste Jugendmusikwettbewerb im Alpenraum entwickeln kann.
An die 700 Jugendliche aus den österreichischen Bundesländern, aus Bayern, dem Allgäu, der Schweiz und Südtirol zieht dieser Wettbewerb immer wieder aufs Neue an. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie prägend und bereichernd Innsbruck für Jugendliche ist, die in einem Volksmusikensemble musizieren oder singen.
Der Wettbewerb ist eigentlich Teil eines umfassenderen Konzepts, denn in Innsbruck geht es nicht nur um eine Standortbestimmung, es geht um Begegnung, Vernetzung, Inspiration, Motivation und den Zugewinn von Erfahrung auf allen Ebenen: musikalisch und menschlich. In Innsbruck zumindest einmal dabei gewesen zu sein, bedeutet einen Mehrwert, noch besser gesagt, eine Bereicherung, die, ohne zu übertreiben, ein Leben lang begleitet.
Das Bundesland Niederösterreich war schon beim ersten Wettbewerb 1974 vertreten und zwar mit dem Volksmusiktrio Spirk-Pillgrab: der junge Ernst Spirk aus Laxenburg an der diatonischen Knopfharmonika und die beiden Pillgrab-Schwestern aus Waidhofen an der Ybbs, Eva am diatonischen Hackbrett und Elisabeth an der Bassgeige.
So viele Solistinnen, Solisten und Ensembles, die die österreichische Volksmusikszene der vergangenen fünf Jahrzehnte geprägt und den nachkommenden Volksmusikantinnen und -musikanten Vorbild waren, haben sich irgendwann dem Wettbewerb gestellt.
Darunter Franz Posch aus Tirol, das Heanznquartett aus dem Burgenland, die Geschwister Wulz aus Kärnten, die Mollner Maultrommler aus Oberösterreich, die Wengerboch Musi aus Salzburg, die Zwanzleitner Musi aus der Steiermark, die Wetterstoamusikanten aus Bayern, das Harfenduo Außerlechner-Strasser aus Tirol, das Duo Hoysa-Emersberger aus Wien oder die Berg- und Talmusi aus Niederösterreich.
Michael Frühmann aus Puchenstuben (vom Berg) und Helmut Gutleder aus Purgstall (aus dem Tal) landeten im Jahr 2000 mit dem Ländler aus Dorfstetten einen ausgezeichneten Erfolg. Mit zwei Harmonikas hatten sie in aller Schlichtheit, doch mit unglaublicher Musikalität und Sensibilität einen Waldviertler Ländler zu Ohren gebracht, der im wahrsten Sinne des Wortes „aufhOHRchen“ ließ.
Und hier schließt sich ein Kreis. Vor wenigen Wochen haben sich die beiden mittlerweile „gstandenen“ Männer in Innsbruck wieder zur Jubiläumsmatinee eingefunden und brachten den Ländler aus Dorfstetten abermals zu Gehör: nach 24 Jahren nicht minder faszinierend.
Moderiert von Peter Margreiter, dem vortrefflichen Leiter des Wettbewerbs, und Peter Kostner, dem gefragten Musikpädagogen und Volksmusikreferenten, waren in dieser Matinee Solistinnen und Solisten sowie Ensembles zu Gast, die sowohl die einzelnen Regionen als auch die einzelnen Jahrzehnte vertraten.
Besonders eindrucksvoll war der Dreigesang der Brüder Unterhofer aus Südtirol, der schon 1974 mit dabei war. Und besonders eindrucksvoll war auch das Interview, das Peter Kostner mit dem 101-jährigen österreichischen Volksmusikforscher Walter Deutsch führte.
Walter Deutsch hatte vor 50 Jahren bei der Ausarbeitung der Wettbewerbskriterien federführend mitgearbeitet – diese scheinen gewissermaßen zeitlos und gelten heute noch, entwicklungsbedingte Abänderungen ausgenommen. Lässt man die vergangenen Jahrzehnte revuepassieren, finden sich allerhand „niederösterreichische“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter den Ausgezeichneten.
Neben der Berg- und Talmusi u. a. die Geschwister Six aus Opponitz 1980, die Graslgeiger aus Reinprechtspölla 1982, die Familienmusik Fuchs aus Klosterneuburg 1986, die Familienmusik Zehetner aus St. Georgen am Ybbsfelde 1994, Marie-Theres Stickler aus Puchberg am Schneeberg 2002, Federspiel aus Krems-Stein 2006, das Miesenbacher Harmonika Duo 2008, Philipp Lakinger aus Edlitz 2012, Ybbsfeldstreich aus Blindenmarkt 2014, Schnopsidee und die Junge Windhager Tanzlmusi aus Waidhofen an der Ybbs 2016, Pfiffikus aus Kleinrötz 2018 oder jüngst, das Dreimäderlhaus aus Steinakirchen am Forst und Matheo & Noah aus Miesenbach 2022.
Der Alpenländische Volksmusikwettbewerb hat eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, was die Orientierung in der Volksmusikpraxis anlangt.
Volksmusik wurde gerne definiert als landschaftsgebundene und schriftlos überlieferte Musik. Diese Definition stimmt heute bedingt.
Das Landschaftsgebundene verflacht insofern ein wenig, weil die Musik durch den Rundfunk, durch Tonträger und durch die Möglichkeiten im Netz allgemein zugänglich gemacht wurde. Und „ohne Noten“, diese Form war einmal, als die selbstverständliche Musikerziehung noch zu Hause erfolgte.
Man hat in der freien Zeit zur eigenen Unterhaltung gesungen und zu bestimmten Anlässen entlang des Jahres und des Lebens. Die Volksliedarchive sind gefüllt mit Aufzeichnungen und legen Zeugnis über die Vielfalt der musikalischen Gattungen ab.
Heute übernehmen die Musikschulen die großartige Aufgabe des instrumentalen Musizierens – solistisch und im Ensemble. Damit stiegen nicht nur die Teilnehmerzahlen beim Wettbewerb, sondern Dank ausgezeichneter Musikschulpädagoginnen und -pädagogen auch das Niveau am Instrument.
Hinzu kommt, dass gute Volksmusikantinnen und Volksmusikanten nicht selten in verschiedenen Musikstilen zu Hause sind. Das belebt wechselseitig, was das Musikantische, das Tänzerische, das Rhythmische oder das Feinfühlige in Bezug auf die Interpretation angeht.
Aber zurück zur Orientierung. Innsbruck ist nicht nur ein Campus für die Jugend, sondern auch eine Plattform für das Fachgespräch innerhalb der Jurorinnen und Juroren, die ebenfalls aus dem gesamten Alpenraum kommen und Expertisen in pädagogischer, künstlerischer und/oder wissenschaftlicher Hinsicht mitbringen.
Nachdem ich seit Anfang der 1990er-Jahre als Jurorin mitarbeiten darf, sind mir viele Jurydiskussionen bekannt, die beispielsweise über Veränderung in der Spielpraxis, Moden in der Mehrstimmigkeit, Abgrenzung zu anderen musikalischen Stilrichtungen, Besetzungsgattungen oder Bearbeitungen gehandelt haben.
Schließlich gab und gibt es in den meisten Fällen eine Einigung, die von allen Jurymitgliedern mitgetragen wird. Gewertet wird in Innsbruck parallel in fünf Jurys. Naheliegend, dass, abgesehen von den regionalen Spezifitäten, in jeder Jury die gleichen Maßstäbe angelegt werden müssen. Die Bundesländer veranstalten Volksmusikwettbewerbe auf Landesebene.
Wir in Niederösterreich haben vor ca. 30 Jahren mit einem Volksmusikwettbewerb für die niederösterreichischen Musikschulen in engster Kooperation zwischen Volkskultur und Musikschulmanagement begonnen. Viele der ausgezeichneten Solistinnen, Solisten und Ensembles zog es im Anschluss nach Innsbruck.
Ende Mai 2024 sind beim niederösterreichischen Wettbewerb 23 Solisten und 43 Ensembles angetreten. Allen, die beim 25. Alpenländischen Volksmusikwettbewerb, Donnerstag 24. bis Sonntag, 27. Oktober 2024, teilnehmen werden, ist viel Freude bei der Vorbereitung und viel Erfolg – wenn es dann so weit ist – zu wünschen.
Und noch etwas: Seit 2010 wird beim Alpenländischen Volksmusikwettbewerb für herausragende Darbietungen der Herma Haselsteiner-Preis vergeben. Herma Haselsteiner (1916 – 1982) war 1966 die Gründerin des Tiroler Volksmusikvereins. Der Preis ist ein dotierter Sonderpreis in insgesamt acht Wertungsgruppen.
Mit dem Alpenländischen Volksmusikwettbewerb/Herma Haselsteiner-Preis samt Rahmenprogramm haben die Tiroler Volksmusikgeschichte geschrieben. Es ist den Pionieren und Nachfolgern dafür zu danken und den aktuell Verantwortlichen alles Gute für die Zukunft zu wünschen: Josef Sulz, dem Gründer. Peter Reitmeir, seinem Nachfolger und dem derzeitigen Leiter Peter Margreiter.
Möge dieser einzigartige Wettbewerb sein Ziel in eine erfolgreiche Zukunft führen können, nämlich jungen Sängerinnen und Sängern sowie Musikantinnen und Musikanten aus dem gesamten Alpenraum Begegnung zu ermöglichen und regionaltypische Sing- und Musizierart zu fördern.
Dorli Draxler